Art Workers Council Frankfurt/M.

M31 vs. Modell Deutschland

25. März 2012

Das Art Workers Council Frankfurt/M. (AWC) sprach mit der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft Freie Arbeiterinnen und Arbeiter-Union Frankfurt/M. (FAU) über die Krise, das Modell Deutschland, Arbeitsbedingungen und Organisierung im Kulturbereich sowie die Mobilisierung für den Europäischen Aktionstag M31 am 31. März 2012.

AWC Im Frühjahr 2010 beteiligten wir uns an einer Demonstration des Krisenbündnis in Frankfurt am Main. Während Regierungen Rettungspakete für strauchelnde Banken schnürten warb das Krisenbündnis für die Abschaffung der Lohnarbeit. Auch die FAU hat damals einen Aufruf für diesen Anlass formuliert. Aktuell mobilisiert ein transnationales Bündnis für den europäischen Aktionstag M31. Wie hat sich die Krise aus eurer Sicht seit 2010 verändert?

FAU Nach der Immobilien-Krise in den USA und der daran anschließenden weltweiten Finanzkrise ist nun die Rede von der "Euro-Krise". Sie begann in den Ländern des Euro-Raums die zuvor von Deutschland niederkonkurriert wurden – dies umfasst in erster Linie Griechenland, Irland und Portugal sowie Spanien und Italien. Die daraufhin von Deutschland diktierten Sparprogramme zur Stabilisierung der Euro-Zone haben nun katastrophale Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse in ganz Europa. In Griechenland sind die Folgen der autoritären Krisenpolitik derzeit am deutlichsten spürbar: das Gesundheitssystem kollabiert, der Mindestlohn wurde gekürzt ebenso wie die Sozialsysteme, darüberhinaus droht die Privatisierung der gesamten öffentlichen Infrastruktur.
Die Folgen dieser Politik greifen aktuell in das Leben von Millionen von Menschen in Europa ein. Und auch hierzulande sind die Konsequenzen längst spürbar. Auch wenn sich Deutschland zunächst als Krisengewinner darstellt bleibt das Geheimnis des "Erfolgsmodel Deutschland" die fortschreitende Verschlechterung der hiesigen Lebensbedingungen.

AWC Während sich europaweit Widerstand formiert scheint der soziale Frieden in Deutschland ungebrochen. Welche Rolle spielen dabei die Gewerkschaften?

FAU Nicht nur in Deutschland verhalten sich die offiziellen Gewerkschaften weitgehend Regierungskonform. In Spanien sind die Arbeitsbedingungen erst vor kurzem drastisch verschlechtert worden. Arbeitszeiten wurden hochgesetzt, Renten gekürzt, die Lebensarbeitszeit verlängert und der sowieso schon geringe Schutz der Arbeiter_innen vor Massenentlassungen wurde gestrichen. Die großen Gewerkschaften, d.h. die kommunistische und die sozialdemokratische (CC.OO und UGT), tragen diese Maßnahmen der Regierung mit. Demgegenüber versuchen Basis-Gewerkschaften wie die CNT zusammen mit sozialen Bewegungen für den Generalstreik am 29. März zu mobilisieren.

In Deutschland und auch in Europa hat der von den DGB-Gewerkschaften und Arbeitgebern organisierte Betriebsfrieden massive Auswirkungen auf viele Dinge und er sichert der aggressiven deutschen Standortpolitik den Rücken. Erst Ende letzten Jahres haben ver.di und IG-Metall auf ihren Gewerkschaftstagen erneut den Schutz des Standorts Deutschland beschlossen. Und das ist nicht mehr als ein trauriger Versuch die Interessen ihrer Kernbelegschaften zu sichern. Von den offiziellen Gewerkschaften profitieren nur die Arbeitnehmer_innen die sich noch in halbwegs abgesicherten, vergleichsweise gut bezahlten Arbeitsverhältnissen befinden. Ausserhalb dieser immer kleiner werdenden Tarif-Oasen sind die Arbeitsverhältnisse inzwischen durch Leiharbeit, 400-Euro-Jobs oder Werkverträge weitgehend dereguliert.

Die besondere politische Rückständigkeit der Arbeitswelt in Deutschland liegt nicht zuletzt auch in der post-faschistischen Geschichte begründet. Im gegenwärtigen Arbeitsrecht der Bundesrepublik lassen sich immer noch Interpretationen des nationalsozialistischen Arbeitsrechts erkennen, wie sie von Hans Carl Nipperdey, Mitglied des NS-Reichswahrerbundes und später Präsident des Bundesarbeitsgerichts, formuliert wurden. Auch heute noch sind nach dessen Leitlinien politische Streiks in Deutschland verboten. Im Rahmen von Tarifstreitigkeiten ist ein Streik lediglich als "letztes Mittel" zugelassen und auch nur dann wenn er von "tariffähigen" Gewerkschaften geführt wird.

Aber auch in anderen EU-Ländern ist vieles verboten. Es bleibt zu hoffen, dass transnationale Proteste gegen Kapitalismus und Krisenpolitik dabei helfen, sich von solchen Verboten weniger beeindrucken zu lassen. M31 könnte ein Schritt in diese Richtung sein.

AWC Bis jetzt haben hierzulande vor allem die Aktivist_innen der Occupy-Bewegung von sich hören gemacht. Sie kritisieren in erster Linie das Finanzkapital, dessen Vertreter_innen sie als schuldige Minderheit ausmachen. Doch wenn das solide Fundament der deutschen Führungsrolle und ihrer Spardiktate in Europa die Standortpolitik deutscher Gewerkschaften ist, warum sollen Banken dann mehr für die europäische Schuldenkrise verantwortlich gemacht werden als jene deutschen Einheitsgewerkschaften? Auch der Demonstrationsaufruf des M31-Bündnis kündigt einen "Besuch" der Europäischen Zentral-Bank (EZB) an. Macht es nicht viel mehr Sinn den DGB zu besetzen, anstatt, im Fahrwasser von Occupy, wieder eine Bank zum Symbol des Bösen zu machen?

FAU Die deutschen Gewerkschaften sind ein wichtiger Teil des Systems der nationalistischen Standortpolitik. Natürlich gäbe es Gründe ihnen auf die Pelle zu rücken, allein schon aufgrund ihrer Rolle in der Leiharbeit. Doch in Hinblick auf die europäische Krisenpolitik ist die EZB eine der politischen Institutionen, die für die Umsetzung von Regierungsentscheidungen verantwortlich sind – das unterscheidet die EZB von Konzernen wie z.B. der Deutschen Bank AG. Im Rahmen von M31 geht es ja gerade nicht darum die Finanzmärkte zu kritisieren. Durch eine Reformierung des Bankensektors würde sich an unseren Lebensbedingungen auch wenig ändern. Die Zumutungen mit denen die Menschen in Griechenland oder auch hier konfrontiert sind verbessern sich nicht durch eine Finanztransaktionssteuer. Die Fragen nach den Profiten und Aktienkursen der Finanzwirtschaft werden nicht die grundlegenden Fragen z.B. hinsichtlich Armut, Ausbeutung oder der nicht mehr vorhandenen gesundheitlichen Versorgung der Menschen in Griechenland beantworten. Es geht uns um eine grundsätzliche Infragestellung aller Institutionen des Kapitalismus und des Zwangs zur Lohnarbeit.

AWC Wir haben selbst, in unserer Gruppe, immer wieder die Erfahrung machen müssen, wie individualisierte Arbeitsverhältnisse, mit Ihren widersprüchlichen Glücksversprechen, politische Verbindlichkeit und solidarische Organisierung erschweren. Die meisten Erwerbstätigen im Sektor der sog. "Creative Industries", von Kunstverein bis Webdesign, arbeiten zu mehr als fragwürdigen Konditionen. Die glamourösen Versprechen von Erfolg und Selbstverwirklichung scheinen den Produzent_innen jedoch nach wie vor das Elend wert zu sein. Welche Erfahrungen habt Ihr mit den Arbeitsverhältnissen in der Kulturindustrie gemacht? Gerade für (schein-) selbständige Kleinunternehmer_innen scheint klassischer Arbeitskampf ja zunächst mal keine Option zu sein, da sie nicht im eigentlichen Sinne Angestellte oder Lohnarbeiter_innen sind. Was sind eure Strategien und Ansätze der Organisierung in diesem Bereich?

FAU Die meisten unserer Mitglieder die im Kulturbereich arbeiten haben mehrere und unterschiedliche Nebenjobs. Im Kultursektor sind diese Zumutungen vielleicht stärker etabliert und akzeptiert als in anderen Bereichen. Und der verständliche aber absurde Wunsch nach Selbstverwirklichung in der Lohnarbeit ist sicher eine mögliche Erklärung dafür. Flexibilisierung als Organisationsproblem ist aber mittlerweile überall die Regel. Was früher ein fester Arbeitsplatz war, ist heute aufgeteilt in zwei bis drei 400€-Jobs, auf Abruf und illegaler Weise ohne die Zahlung von Krankheits- und Urlaubsgeld. Oft bewegt sich erst dann Widerstand gegen die Arbeitsbedingungen, wenn ein Laden in Problemen steckt, oder dicht gemacht wird und Leute rausgeschmissen werden, also wenn es eigentlich schon zu spät ist. Was dann für den kurzen Moment organisierbar ist lohnt sich zwar oftmals finanziell, meistens zerfallen die Strukturen aber auch gleich danach wieder.

Die Freiberufler_innen, die bei uns organisiert sind, versuchen sich zunächst mal gegenseitig dabei zu helfen Jobs oder Aufträge zu finden. Dabei wird gemeinsam darauf geachtet, dass ein bestimmtes Minimum an Bezahlung nicht unterschritten wird, auch und besonders dort, wo jemand selbst in der Situation ist Aufträge zu vergeben oder zu vermitteln. Das ist in unseren Augen ein klassischer Teil von politischer Gewerkschaftsarbeit. In Schweden wird ähnliches für "Papierlose" Migrant_innen unter dem Namen "Register" von der Gewerkschaft SAC organisiert. Ein anderes - historisches - Beispiel wären die in den 20er und 30er Jahren in der anarcho-syndikalistischen CNT ("Sindicato Espectáculos") organisierten Filmschaffenden in Spanien. Auch als der Krieg gegen Franco verloren war hat die Gewerkschaft in anderer Form getarnt weiterhin diese Form der Arbeitsvermittlung organisiert. Wer einen Film drehen wollte musste sich an diese Stelle wenden und dort wurden dann die Jobs an die Statist_innen verteilt. Das ist Teil der gewerkschaftlichen Arbeit und so sollte sie auch sein.

AWC Die Gewerkschaft ver.di zeigt sich in Deutschland zuständig u.a. für Arbeiter_innen im Kunst und Kulturbereich. Was sind eure Erfahrungen mit ver.di?

FAU ver.di ist innerhalb der DGB-Gewerkschaften die treibende Kraft gewesen, die die erbärmlichen Dumpinglohn Tarifverträge des DGB mit den Leiharbeitsfirmen verhandelt und abgeschlossen hat, weswegen der gesetzliche Anspruch der Leiharbeiter_innen auf "equal pay" und "equal treatment" bis heute nicht durchgesetzt werden kann. Unsere Sympathien halten sich also in Grenzen.

In Bezug auf den Kulturbereich haben wir auch eher negative Erfahrungen. In Berlin gab es massive Konflikte mit einem lokalen ver.di-Boss. Im Programmkino Babylon-Mitte hatten sich Beschäftigte in der FAU organsiert um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das Kino wurde durch die Linkspartei, die damals auch in der Stadtregierung saß, mit einigen hunderttausend Euro pro Jahr finanziell unterstützt. Ein ver.di-Sekretär hat die Beschäftigten ausgebootet, indem er mit dem Kino Boss einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, ohne die Betroffenen zu fragen und ohne eine Basis im Betrieb zu haben. Der Vertrag umfasste noch nicht einmal die Standards die ver.di in anderen Kinos der Stadt durchsetzen konnte. Ver.di ist der Babylon-Belegschaft also in den Rücken gefallen, und das passiert ja leider nicht selten. Die Auseinandersetzung ist für die Beschäftigten erst mal verloren und der "soziale Frieden" dank ver.di wieder hergestellt.

AWC Wie wird es nach dem 31. März weiter gehen?

FAU M31 ist für viele Beteiligte der Startschuss einer intensiveren Zusammenarbeit jenseits nationaler Grenzen. Die FAU ist ja in der IAA, der anarchosyndikalistischen Gewerkschaftsinternationale organisiert, wo diese Zusammenarbeit seit Jahrzehnten stattfindet. Das neue am M31 ist, dass Gruppen beteiligt sind die ähnliche Vorstellungen oder Ziele teilen, bisher aber wenig von einander mitbekommen haben, und nun eine Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung praktizieren wollen. Das könnte die Durchsetzungsfähigkeit aller Beteiligten bei bevorstehenden Konflikten enorm verstärken. Weitere Treffen zur Auswertung der Aktionen und zur Diskussion der weiteren Schritte sind für April geplant.

FAU
fau.org
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march31.net
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